Neues Leitbild akzeptierender Drogenarbeit
Der Bundesverband von akzept und die Deutsche Aidshilfe haben ein neues Leitbild akzeptierende Drogenarbeit vorgestellt. Es basiert auf den Leitlinien akzeptierender Drogenarbeit, ein 70-seitiges Werk aus dem Jahr 1999, das kondensiert, überarbeitet und den vielen Entwicklungen in Drogenarbeit und Drogenpolitik der letzten zwei Jahrzehnte angepasst wurde. Das Leitbild behandelt folgende Eckpfeiler akzeptierender Drogenarbeit (die verschiedenen Unterpunkte sind im Folgenden kurz zusammengefasst):
Schutz der Menschenwürde
„Drogengebraucher*innen besitzen ebenso wie alle anderen ein Recht auf Menschenwürde. Sie brauchen es nicht erst durch abstinentes und angepasstes Verhalten zu erwerben.“ – Diesem Gründungs-Grundsatz des JES-Netzwerks folgt auch akzept. Das bedeutet für die akzeptierende Drogenarbeit, die Folgen von Kriminalisierung und Stigmatisierung zu vergegenwärtigen und ihnen entgegenzuwirken.
Dem entgegen stehende rechtliche Rahmenbedingungen und Kontrollfunktionen sind ebenso unter Wahrung der Selbststimmung und Eigenverantwortung der Menschen umzusetzen. Der Grundsatz „Unterstützung und nicht Bestrafung“ (support don’t punish) ist hierbei handlungsleitend.
Selbstbestimmung und Bedarfs- sowie Bedürfnisorientierung
Die Entwicklung und Umsetzung von Angeboten und Maßnahmen mit dem Ziel, gesundheitliches, psychisches und soziales Wohlbefinden zu verbessern sowie gesundheitsschädliche Strukturen abzubauen oder zu vermeiden, ist an den Bedarfen und Bedürfnisse ihrer Nutzer*innen und unter Einbezug der organisierten Selbsthilfe auszurichten.
Nur in begründeten Einzelfällen, in denen eine massive Gefährdung der eigenen Gesundheit oder Gesundheit Dritter zu befürchten ist, treffen Mitarbeitende der akzeptierenden Drogenarbeit zeitlich begrenzt Entscheidungen, welche die Selbstbestimmung der Nutzer*innen beschneiden können. Auch hierbei gilt es, Abwertungen der Personen und ihrer Verhaltensweisen zu vermeiden und eine bedürfnis- und prozessorientierte Unterstützung anzubieten.
Zieloffenheit in Beratung und Behandlung: zwischen selbstbestimmtem Konsum und Abstinenzparadigma
Das Selbstbestimmungsrecht zu akzeptieren bedeutet auch, gemeinsam unter Einbezug von Willen und Ressourcen der Nutzer*innen Ziele für die Beratung oder Behandlung zu definieren. Einseitig auf Abstinenz fokussierte Angebote entsprechen oftmals nicht der Lebensrealität der Nutzer*innen oder halten sie davon ab, Angebote frühzeitig aufzusuchen.
Zielkonflikte kann es mit den von Kostenträgern vorgegebenen Zielvorgaben geben. Abstinenzorientierte und schadensminimierende Angebote sowie Mischformen schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus, sondern können als einander ergänzende Zieloptionen wirken.
Politisches Mandat akzeptierender Drogenarbeit
Die Arbeit mit drogengebrauchenden Menschen findet in einem Umfeld statt, das durch rechtliche und politische Rahmenbedingungen stark geprägt ist. Diese binden oftmals einen erheblichen Anteil an Ressourcen und widersprechen den in den Leitlinien dargelegten Grundsätzen wie Menschenwürde und Selbstbestimmung. Aufgabe akzeptanzorientierter Drogenarbeit ist es daher auch, Drogengebrauch als gesellschaftliche Realität zu kommunizieren, die manchmal aber nicht immer Unterstützungsbedarf erfordert (Normalisierung), und sich politisch im Sinne der Verhältnisprävention für eine evidenzbasierte und human ausgerichtete Drogenarbeit zu engagieren (Politisierung).
Umfassende Partizipation der Nuzer*innen
Die Partizipation von Nutzer*innen auf allen Ebenen der Drogenarbeit und in allen Beziehungsebenen ist wesentlich, um sie an deren Bedürfnissen auszurichten und die Qualität der Angebote zu erhöhen. Viele sind es aufgrund ihrer Erfahrungen nicht gewöhnt, gefragt zu werden – Partizipation muss daher als langfristiger, schrittweiser und methodisch kreativer Prozess angelegt sein.
Partizipation kann auch dadurch gefördert werden, indem die Selbstorganisation drogengebrauchender wie auch abstinent lebender Menschen durch Ressourcen wie zum Beispiel Gelder und Räumlichkeiten unterstützt wird. Ebenso sind drogengebrauchende Menschen in für sie relevante politische Prozesse sowie in Gremien und Netzwerkarbeit einzubinden.
Reflexion, qualitätsgerechte Umsetzung und Weiterentwicklung der akzeptierenden Drogenarbeit
Akzeptierende Drogenarbeit beruht auf fachlichen Standards und wissenschaftlichen Erkenntnissen verschiedener Disziplinen wie der Sozialen Arbeit und der Sozial- und Gesundheitswissenschaften. Fundiertes Fachwissen und regelmäßige Qualifizierung sind notwendig. Verschiedene Formate wie Nutzer*innenbefragungen und ein niedrigschwelliges Beschwerde- und Anregungsmanagement tragen zur Qualität der Angebote bei und unterstützen den partizipativen Gedanken.
Zugänge zu Angeboten sind grundsätzlich niedrigschwellig zu gestalten und müssen die Diversität der Zielgruppe – etwa hinsichtlich geschlechtlicher, sexueller, kultureller oder sprachlicher Unterschiede – berücksichtigen.
Eine weitere wichtige Säule ist die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Gremien- und Netzwerkarbeit, um eine aufgeklärte Zivilgesellschaft zu fördern. Neben tradierten Bildern von drogengebrauchenden Menschen ist es wichtig, sowohl auf die Möglichkeiten selbstbestimmten Drogenkonsums hinzuweisen als auch auf die strukturellen Ausschlussmechanismen, die gesundheitliche und soziale Schäden bedingen, und die notwendigen drogenpolitischen Anpassungen.